Hilmar Grey

Hilmar Grey:  Zeesen-Boote, 2015, Reservage und Aquatinta
Hilmar Grey: Zeesen-Boote, 2015, Reservage und Aquatinta
Hilmar Grey: Rummelsburger Bucht, 2016, Strichätzung und Aquatinta
Hilmar Grey: Rummelsburger Bucht, 2016, Strichätzung und Aquatinta
Hilmar Grey: Schafherde in Herzberge, Strichätzung und Aquatinta
Hilmar Grey: Schafherde in Herzberge, Strichätzung und Aquatinta
Hilmar Grey: Buckow II, 2013, Strichätzung und Aquatinta
Hilmar Grey: Buckow II, 2013, Strichätzung und Aquatinta

Biographie

Geboren 1937 in Meinsdorf (Anhalt)
Verstorben 2021 in Berlin
Studium der Filmproduktion und Kulturwissenschaften
Arbeit bei DEFA und Rundfunk
1996 erste grafische Versuche bei dem Maler und Grafiker Günter Blendinger
Seit 1997 Grafik bei Stefan Friedemann und Sandra Rienäcker
Lebt und arbeitet in Berlin

Ausstellungen

Beteiligung an diversen Gruppenausstellungen und Ausstellungen des Graphik Collegiums Berlin

Nachruf von Volkhard Böhm

1997 kam Hilmar Grey in den Kurs von Stefan Friedemann im Studio Bildende Kunst in Berlin-Lichtenberg, meine damalige Arbeitsstätte. Vermutlich habe ich ihn nicht gleich kennengelernt. Er war ein stiller, zurückhaltender Mensch. Erst als fast 60-jähriger hat er sich ein Jahr zuvor der bildenden Kunst, der Graphik zugewandt. Angefangen hat er bei Günter Blendinger, diesem Berlinischen Künstler, der meist mit der kalten Nadel direkt vor Ort zeichnet, von dem Hilmar vielleicht diesen Drang nach Authentizität und die Direktheit zum Bildmotiv hat. Von Stefan Friedemann hatte er dann wieder vermutlich die Anregung zum Artifiziellen in der Handhabung der Techniken der Radierung, in den diffizilen Aquatintatönen und Reservagen, in der malerischen Komponente seiner Druckgraphiken.

Ab 2001 hat er mir immer wieder Graphiken für die damals jährlich stattfindenden Versteigerungen für die Kinder von Tschernobyl gespendet. Nun lernte ich ihn näher kennen, musste ihn „bremsen“, weil er immer mehr Graphiken spenden wollte, als wir anbieten konnten. An den Versteigerungen selbst nahm er immer wieder als Beobachter teil, vermutlich wollte er sehen, ob seine Graphiken überhaupt jemanden interessierten. Es muss ihm eine Bestätigung gewesen sein, nie musste ich ihm eine seiner Spenden zurückgeben, alle fanden ihre Liebhaber. Ich sehe ihn noch heute inmitten der Besucher dieser Versteigerungen sitzen, anfangs immer zusammen mit seiner Frau, die so früh von ihm ging, die er so schmerzlich vermisste und der er nun nachfolgte.

So still und zurückhaltend wie er als Mensch war, ist auch seine Kunst. Immer wenn ich solche Bilder sehe, kommen mir Zeilen aus einem Gedicht der Lyrikerin Eva Strittmatter in den Sinn. 1973 schrieb sie eines ihrer schönsten Gedichte, genannt „Vor dem Winter“, beginnend mit: „Ich mach ein Lied aus Stille / Und aus Septemberlicht.“

Es ist diese Stille, die ich auch in Hilmar Greys Landschaften spüre, in einer oft herbstlichen Stimmung in vielen dieser Landschaften, in denen die Bäume kein alles schützendes Blätterdach mehr tragen, in denen das Gespinst aus Zweigen und Ästen überwiegt. Ernst Barlach schrieb über solche Motive: „Die Natur hat Feierlichkeit und Behagen, Groteskes und Humor oft in einem Objekt und in einer Linie.“[1] Der Baum ist ein universelles Symbol in vielen Kulturen. Still stehen die Bäume auch in Hilmars Bildern, in der Erde verwurzelt, immerfort wachsend, mit allen Elementen in Verbindung stehend, sich mit der Krone gen Himmel reckend, so Erde und Himmel verbindend. Sie durchbrechen den klar strukturierten Bildaufbau aus Vorder-, Mittel- und Hintergrund, wobei in den reinen „Land“schaften die Horizontlinie alles beruhigend in der Mitte des Bildes liegt und die dann in den „Wasser“landschaften nach oben verschoben wird, die Weite und Endlosigkeit dieser Bilder unterstreichend.

Hilmar hat die Bildmotive seiner Landschaften weniger in seiner Wahlheimat Berlin gesucht und gefunden, sondern auf Reisen – nicht auf Reisen in die „weite“ Welt, sondern auf Reisen in die nähere und weitere Umgebung seiner Wahlheimat Berlin. Repräsentative Bauwerke und Landschaften sucht man ganz seinem Naturell entsprechend vergeblich in seinen Bildern.

2018 bekennt er: „Zwischen Wasser und Wald aufgewachsen, prägen die Orte meiner Kindheit bis heute meine Bildwelt. Die künstlerische Umsetzung von Naturerscheinungen, wie Licht, Spiegelungen oder Vegetation, waren mir immer Bedürfnis.“[2] So sind es die Landschaften, dörfliche oder kleinstädtische Motive aus seiner anhaltinischen Heimat um Rosslau unweit der Elbe mit ihren Hochwassern, aus der Lausitz, dem Oderbruch, die Seen um Berlin, von der Ostsee, genauer von der Insel Usedom, aus dem märkischen Buckow und wenn schon aus Berlin, immer wieder die Rummelsburger Bucht.

All diesen Graphiken ist gemeinsam: Es sind realistische Darstellungen, fast nüchterne Schilderungen, episch bis lyrisch mit romantischen Anklängen, allerdings ohne das Hinübergleiten in romantisch-hintergründige Stimmungen. Oft mit wenigen Strichen, wie angedeutet aber auch in kräftigeren Reservagen, sind die Landschaften mit jahreszeitlichen Stimmungen angelegt. Mit Sensibilität spürt er den Strukturen nach, dem morbiden Charme alter Gebäude, den schrundigen Strukturen alter Bäume, den Spiegelungen im Wasser.

Hilmars Motive sind imaginiert und real zugleich, topographisch und geographisch genau in den Landschaften, übersetzt durch die eigene Sicht des Weglassens und Hinzufügens in einer ausgewogenen ästhetischen Bildkomposition. Das Ausschweifende, Gesprächige, Überzeichnende ist seine Sache nicht. Bis in die Bildtitel benennt und zeigt er nur das, was er sieht und darstellen will.

Solche Motive und Haltungen findet man schon bei Dürer, aber auch in den radierten Landschaften Rembrandts, bei den Graphikern der Schule von Barbizon, Corot etwa, wie bei allen genauen Beobachtern mit Empathie für das dargestellte Motiv. In dieser Tradition stehen die Bilder von Hilmar Grey.

In seinem Statement spricht er vom Licht, dem er in seinen Bildern nachspürt. Es ist meist ein gedämpftes Licht in seinen Radierungen, hervorgerufen durch einen Hintergrund oder einen Himmel, wolkenverhangen oder von zart-grauem Platten- oder Aquatintaton.  Dadurch erhalten viele seiner Landschaften eine elegische, melancholische Grundstimmung.
Eva Strittmatter beendet ihr Gedicht verallgemeinernd mit: „Ich mach ein Lied aus Stille / Ich mach ein Lied aus Licht“.


[1] Ernst Barlach, Die Briefe I, 1888-1924, Hrsg. von F. Droß, München 1968, S.253

[2] Hilmar Grey, in: Graphik-Collegium Berlin, Katalog, Berlin 2018